Auf den ersten Blick mutet Holo$ (nur) wie
eine Zeichnung auf dunklem Grund unter extrem dicker Verglasung an. Dieser
Eindruck hält allerdings nur so lange vor, bis Licht, vorzugsweise von
schräg oben auf das wandhängende Objekt gerichteten Spots, auf dessen
Oberfläche fällt und das Werk zu eigentlichem Leben erweckt. Die anfänglich
zurückhaltende Farbigkeit entfaltet sich jetzt in intensiver Brillanz und
Leuchtkraft. Je nach Sichtwinkel des Betrachters treten die in der erst
jetzt erkennbaren Collage verwendeten Elemente - darunter signifikant ein
durchgerissener 1-$-Schein - aus der Fläche heraus nach vorn in den Raum und
eröffnen die dritte Dimension. Das Geheimnis steckt in der vorgelagerten
Glasplatte von reichlich 1 cm Dicke.
Verstärkt wahrnehmbar wird diese Impression noch, wenn der Betrachter die
Arbeit unbeleuchtet vorfindet, die quasi zum Werk gehörende Stabtaschenlampe
interaktiv einsetzt - was durchaus den Intentionen der Künstlerin entspricht
- und durch die Variation von Beleuchtungs- und Blickwinkel die Objekte
gleichsam in der räumlichen Dimensionen ›in Bewegung‹ setzt.
In Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Künstler August Muth, einem
Protagonisten moderner holografischer Licht-Kunst (der in seinem eigenen
Schaffen hingegen betont abstrakt arbeitet), hat Dora Tass seit 2006 eine
Reihe von analogen holografischen Licht-Arbeiten realisiert, darunter die in
Ausstellungen - zuerst im italienischen Pavillon der 54. Biennale Venedig -
und auf Auktionen vertretene Typewriter-Sujets sowie mehrere weitere
Arbeiten zur Geld-Thematik.
In zweidimensionaler Darstellung ist die Spezifik der Arbeit nur annähernd
darstellbar (im
News-Beitrag
deshalb der Hinweis auf Filmaufnahmen).
Dora Tass zur ihren Licht-Kunstwerken:
»Durch meine Arbeit bemühe ich mich, eine dreidimensionale Topographie aus
reinem Licht einzufangen, die ein Fenster in die schwer fassbaren Bereiche
des Licht-Raum-Zeit-Paradoxons öffnet. Leuchtende Lichtvolumen werden
spürbar und forderten den Betrachter zu einer mehrdimensionalen Erfahrung
auf. Die Körperlichkeit des irdischen Materials wird nicht materiell
und unwesentlich, wenn man von der taktilen Qualität dieses
dreidimensionalen holografischen Lichts fasziniert wird: Ich trickse die
Sinne aus und destabilisiere die Wahrnehmung: Jedes Hologramm hat
unterschiedliche Perspektiven, die sich ändern, ja nachdem wo der Betrachter
in Bezug zum jeweiligen Werk steht. Leuchtende Flüssigkeits-volumina
hypnotisieren und provozieren visuelle und kognitive Kurzschlüsse.« |
Das Wesentliche der holografischen Technik hat August Muth in der
Charakterisierung seiner künstlerischen Arbeit umschrieben als die
Transformation von Licht in Raum - und er betont dabei angesichts des Hypes
um digitale Reproduktion den Facettenreichtum des in Pixeln um ein
Vielfaches überlegenen analogen Verfahrens.
Er sagt: »Beim Betrachten eines Hologramms trifft der Betrachter auf eine
Wahrnehmungstür. Wenn man durch diese Tür in eine taktile dreidimensionale
Erfahrung tritt, die keine materielle Substanz enthält, ergibt sich eine
Chance. Es besteht die Möglichkeit, veraltete Ideen und Wahrnehmungen der
Realität zu verändern.«
Die treibende Kraft in Dora Tass' Forschung und Praxis sind Objekte, die
visuelle Poesie, historisches Gedächtnis und - wie von der Künstlerin
definiert - "la poetica dell'assenza" (die Poetik der Abwesenheit)
darstellen. Sie lässt sich vom Dadaismus und Surrealismus inspirieren, indem
sie Erinnerungen zusammenführt und Objekte sammelt, die veraltet, aber sehr
vertraut sind. (...) Die zerstückelten Elemente in ihrem Werk sind
Nebeneinanderstellungen einer gespenstischen Vergangenheit, die in einer
surrealen Gegenwart eingeschlossen ist und ein archäologisches Archiv der
Zukunft darstellt. Deshalb werden wir dazu gebracht, die Vorstellung von
Zeit auf neue Weise wahrzunehmen, die uns verwirrt und sprachlos macht.
(zitiert nach CURRENTS NEW MEDIA, einem 2002 von Parallel Studios in New Mexico etablierten Event für Neue Medien)
Die 1972 in Rom geborene Künstlerin, lebt und arbeitet in Rom und Santa Fe,
New Mexico, USA
Die im Bestand der Sammlung Haupt befindlichen Arbeiten (»Holo$« und
»Lead$« waren
in der Ausstellung
»GELD - WAHN - SINN: Die Sammlung Haupt in den Reinbeckhallen Berlin«
vom 26.5. - 19.8.2018 zu sehen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Hermann Büchner
Kurator, Sammlung Haupt
E-Mail: hb@sammlung-haupt.de
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